15. Dezember 2022

Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Kollegin der Linksfraktion, ich kann verstehen, dass Ihnen dieses Thema unter den Nägeln brennt; denn es ist eines der wichtigsten Themen, die wir uns im Bildungs- und Forschungsbereich vorgenommen haben. Und Sie haben auch viele wichtige und gute Punkte genannt. Ich stimme mit Ihren Vorschlägen nicht ganz überein, aber mit der Problemanalyse.

Ich habe selbst als wissenschaftliche Mitarbeiterin gearbeitet, bevor ich in den Bundestag gekommen bin, und ich kenne die Situation und die Herausforderungen.

Pscht! Ruhe bitte! Das ist mir zu laut. Es ist Viertel nach neun. Das muss jetzt nicht sein.

– Pascal Meiser [DIE LINKE]: Sie haben doch als Lehrerin gearbeitet, oder?

Ja, sehen Sie, das war der Reflex.

Also, ich kenne die Situation vieler Promovierender und Postdocs.
Wir haben uns leider mit dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz, obwohl es so nicht gedacht war, wirklich ein schlimmes Prekariat in unserem Wissenschaftssystem geschaffen. Das ist schlecht; denn damit gefährden wir auch die Attraktivität unseres Forschungsstandortes Deutschland. Wir wollen natürlich auch – das haben wir schon in vielen Reden gehört – mehr internationale Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nach Deutschland holen. Aber wie können wir für einen attraktiven Wissenschafts- und Forschungsstandort sorgen? Mit diesen Bedingungen sorgen wir definitiv nicht dafür, im Gegenteil.

Eine der großen Zielsetzungen der Ampelkoalition im Hochschulbereich war und ist es weiterhin, das Wissenschaftszeitvertragsgesetz auf Grundlage der Evaluation zu reformieren. Die Evaluation hat gezeigt: Hier ist Handlungsbedarf.

Das ist auch keine Überraschung gewesen. Das haben wir erwartet. Es ist so gekommen. Die Evaluation hat gezeigt, was schon seit Jahren leider trauriger Alltag im Wissenschafts- und Forschungssystem hier in Deutschland ist.

Durch #IchBinHanna ist öffentlich geworden, welche Negativfolgen und Begleiterscheinungen die Befristungspraxis an unseren Hochschulen hat. Die Befristungsquote ist einfach immer noch viel zu hoch.
Hochqualifizierte Menschen hangeln sich von prekärer Beschäftigung zu prekärer Beschäftigung, teilweise auch von Hochschule zu Hochschule. Das ist auch mit vielen Umzügen verbunden. Das alles ist überhaupt nicht familienfreundlich. Die Kollegin Wagner hat es eben auch erläutert, dass man, wenn man eigentlich in den Jahren ist, wo man überlegt, eine Familie zu gründen, sich entscheiden muss: wissenschaftliche Karriere oder nicht? Das kann es nicht sein. Das müssen wir ändern.

Es ist auch schon fast die Regel, bei einem Teilzeitvertrag mehr als Vollzeit und bis zur Erschöpfung zu arbeiten. Auch das ist ein Riesenproblem, das sich in vielen Begleiterscheinungen äußert.

Es ist auch wichtig, dass wir endlich Dauerstellen für Daueraufgaben schaffen; denn es kann nicht sein, dass die Vielzahl an Aufgaben, die dauerhaft anfallen, immer noch mit befristeten Verträgen ausgeführt werden müssen – ohne irgendeine Perspektive.

Dazu muss man auch Folgendes sagen. Menschen, die sich überlegen, im Wissenschaftssystem eine wissenschaftliche Karriere anzustreben, wollen gar nicht immer eine Professur. Nicht jeder, der sich für einen Weg in der Wissenschaft entscheidet, will unbedingt Professorin oder Professor werden. Aber man möchte doch planbare Karrierewege aufgezeigt bekommen, Planbarkeit auch schon während der Promotion. Wenn man sich entscheidet, im Wissenschaftssystem verbleiben zu wollen, dann steht häufig eine intrinsische Motivation dahinter. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Deutschland arbeiten mit Herzblut, mit Leidenschaft. Dieses System zeigt ihnen mit dieser Befristungspraxis null Anerkennung. Das müssen wir ändern. Das haben wir uns im Koalitionsvertrag vorgenommen.

Wir sehen, welche Punkte die Evaluation deutlich aufgezeigt hat. Darauf gehen wir ein.

Was auch erschreckend ist: dass fast die Hälfte der Einrichtungen die Komponente der familien- und behindertenpolitischen Regelung nicht nutzt. Eigentlich dient ja auch die Regelung im Wissenschaftszeitvertragsgesetz dazu, die insgesamt zulässige Befristungsdauer für ältere Menschen mit einer Behinderung zu erhöhen. Wir werden deshalb einen sozialen Ausgleich schaffen, und wir werden dafür sorgen, dass diese Regelungen endlich verbindlich Anwendung finden.

Wir brauchen mehr unbefristete Karrierewege neben der Professur, die wir aufzeigen müssen.

Noch mal zu #IchBinHanna. Dazu gehört noch ein anderer Aspekt. Wer „Ich bin Hanna“ gerufen hat, der muss eigentlich zeitgleich „Ich bin Reyhan“ rufen; denn eine Folge von prekären Arbeitsbedingungen ist auch die fehlende Diversität, die wir in unserem Wissenschaftssystem zu verzeichnen haben. Es fehlt in der Wissenschaft an Diversität, es fehlt an Gleichstellung. Es ist wichtig, dass wir Frauen und Menschen insgesamt in ihrer Vielfalt in unserem Wissenschaftssystem abbilden, dass wir sie weiter stärken und fördern; denn wenn wir das nicht tun, dann gefährden wir zusätzlich unseren Forschungsstandort und den Wissenschaftsstandort Deutschland.

Wir wollen und brauchen mehr Frauen in Führungspositionen. Der Anteil an Professorinnen in der höchsten Gehaltsstufe an Universitäten und außeruniversitären Forschungseinrichtungen ist leider ziemlich gering. Das können wir besser. Das brauchen wir. Wir wollen waschechte Innovation. Waschechte Innovation bedeutet auch immer Vielfalt, und für die müssen wir uns einsetzen.

Diversität macht unsere Forschung besser. Wir dürfen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf dem Weg nicht alleinlassen. Die Ampel packt es an.

Wir werden die Punkte, die in der Evaluation aufgezeigt wurden – jetzt leuchtet es schon wieder auf; jedes Mal dasselbe –, angehen. Ich freue mich darauf.

Vielen Dank.